Ein Forschungsprojekt zu Theorie
und Praxis der Mietpreisreduktion.
Nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 536 Absatz 1) verringert sich die Miete für eine Sache (z.B. eine Wohnung) ganz ohne Zutun des Mieters, soweit durch einen „Mangel [.] ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch […] gemindert“ wird. In Tausenden Fällen passiert das jedes Jahr, und die Öffentlichkeit erfährt davon allenfalls dann, wenn sich Mieter und Vermieter streiten, vor Gericht ziehen und das Verfahren bis zum Ende durchfechten. Allein für den Zehnjahreszeitraum 20072016 sind fast 779 Gerichtsentscheidungen bekannt geworden, Schätzungen gehen von mehr als hundertmal so vielen unveröffentlichten aus. Das einschlägige Nachschlagewerk verzeichnet auf gut 600 Seiten über 1.800 Leitentscheidungen der letzten fünfzig Jahre. Kaum ein anderes Rechtsgebiet ist in der Lebenswelt so allgegenwärtig und derart fein ausdifferenziert.
Wie aber entscheidet sich im Streitfall, wieviel Miete für eine geminderte „Tauglichkeit zum Gebrauch“ einzubehalten ist?
Darüber schweigt das Gesetz. Und zwar bewusst, denn es will der Justiz die nötige Freiheit geben, flexibel auf jeden Einzelfall zu reagieren.
Doch mit großer Macht kommt große Verantwortung: Der Justiz ist zugleich aufgegeben, eine im Gesamtbild widerspruchsfreie und möglichst
vorhersehbare Minderungsarithmetik zu entwickeln. Davon hängt für den einzelnen viel ab: Jeder Mieter, der mehr einbehält als den später
von der Richterin für „angemessen“ befundenen Minderungsbetrag, riskiert die fristlose Kündigung seiner Wohnung.
Dennoch gibt es bisher keine standardisierte Methodik:
Die Minderungsquoten beruhen auf der unstrukturierten Intuition, dem „Wertungsgefühl“, von
mindestens 500 verschiedenen Personen,
die derzeit in Deutschland Mietrechtsfälle entscheiden.
Das vorliegende Forschungsprojekt soll diese Praxis reflektieren und hinterfragen und idealerweise Vorschläge entwickeln, um die juristische Praxis zu unterstützen und ihr Methodenarsenal zu erweitern. Es wird geleitet von Dr. Dr. Hanjo Hamann am Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter in Bonn.
Laut amtlicher Statistik haben deutsche Amtsgerichte im Jahr 2015 insgesamt 38.283 begründete Urteile in Mietsachen erlassen. Für denselben Zeitraum verzeichnen juris 381 und Beck Online 393 amtsgerichtliche Entscheidungen mit dem Suchbegriff miet* (Abfrage 10.10.2017). Das bedeutet, dass auch Experten des Mietrechts nicht einmal jede hundertste Amtsgerichtsentscheidung in den maßgeblichen Fachdatenbanken finden.
Dennoch ist es in der Praxis üblich, sog. Mietminderungstabellen zu erstellen, die die bisherige Rechtsprechung (soweit verfügbar) übersichtlich aufbereiten sollen. Ein Beispiel für diese Praxis ist das
C. Börstinghaus, Mietminderungstabelle. Entscheidungssammlung in Tabellenform (2017)
Deutsches Anwaltsregister, DAWR-Mietminderungstabelle (online, Stand 2020)
Hamann, Marken- und Wettbewerbsrecht als Vorbilder für die Vertragsauslegung? (2018)
Hamann, Rent, Reduction, and Reason (Fellowprojekt an der Stanford Law School, 2020)
Heldrich, Die Bedeutung der Rechtssoziologie für das Zivilrecht (1986)
Th. Müller, Mutmaßungen über die Verkehrsauffassung (1992)